Während der Corona-Krise wurde in den Altenpflegeheimen schier Unmögliches vollbracht. Unsere Ältesten wurden unter schwierigsten Rahmenbedingungen begleitet und versorgt.
Die Altenpflegeheime haben versucht, die Folgen der Kontaktbeschränkungen aufzufangen. Der Kontakt zu den Angehörigen wurde gehalten. Neue Formen der Begegnung sollten das Leben der Bewohnerinnen und Bewohner nicht neu gefährden. Trotz der hohen Infektionsrate in Württemberg konnte die Zahl der durch SARS-CoV-2 bedingten Infektions- und Todesfälle in Altenpflegeeinrichtungen eingedämmt werden. Das ist weltweit beachtet worden und verdient hohen Respekt und große Wertschätzung. Aber den Seelsorgenden blieben die Türen von heute auf morgen verschlossen. Sie öffneten sich allerdings in dieser akuten Phase des Lockdowns, sobald die Seelsorge ans Sterbebett gerufen wurde.
In meiner Hilflosigkeit war ich am Anfang eifrig – vielleicht etwas zu eifrig….
„Zu Beginn – vor allem da ich selbst zwei Wochen in Quarantäne musste – spürte ich stark die Sorge und die Lähmung der Menschen in den Einrichtungen und von mir selber. Eifrig – vielleicht in meiner Hilflosigkeit sogar etwas zu eifrig – war ich anfangs bemüht, schriftlich das christliche Wort weiter ins Haus zu bringen. Doch dann half mir die Frühlingssonne und die „Grünkraft Gottes“, die Natur mit ihrer enormen Symbolkraft sprechen zu lassen. Ich brachte den Frühling ins Haus. Günsel in Wasserschalen brachten die Frühlingswiese und Löwenzahn die Sonnenfarbe. Ein keimendes Weizenkreuz an Ostern wurde zum Hoffnungsbild.“
Gesine Friedrich, Diakonin in Esslingen
Nach einer anfänglichen Schockstarre entwickelten sich neue Formen der seelsorgerlichen Begleitung für die älteren Menschen in den Altenpflegeeinrichtungen. Gespräche über das Telefon wurden aufgenommen. Mit Hilfe der Videotelefonie konnten die Bewohnerinnen und Bewohner mit der Welt draußen in Kontakt bleiben. Audio- und Videogottesdienste wurden von Seiten der AltenPflegeHeimSeelsorge entwickelt. Die Gottesdienste im Freien, die von den geöffneten Fenstern aus begleitet wurden, halfen die Vereinsamung auf den Wohnbereichen zu mindern.
In Kriegszeiten gelernt, mit solchen Unwägbarkeiten umzugehen
Depressionen und posttraumatische Belastungssymptome gehören zu den langfristigen Folgen sozialer Isolation. Besonders betroffen sind alte Menschen, die innerhalb einer Einrichtung in ihrem Zimmer in Quarantäne leben mussten. Eine Bewohnerin rief frühmorgens bei der AltenPflegeHeimSeelsorge völlig verzweifelt an: „Können Sie mir sagen, ob es jetzt früh am Morgen ist oder ob es Abend ist? Sie müssen mir helfen. Die Pflegekräfte behaupten, ich muss ins Bett gehen, aber ich bin doch soeben aufgestanden und habe mich angezogen. Was soll ich glauben, ich bin doch nicht dumm geworden?“ Es bedurfte eines langen Gespräches, um der besorgten Bewohnerin beizustehen, damit sie sich wieder orientieren und den Pflegekräften Glauben schenken konnte.
Die Menschen, die innerhalb einer Einrichtung noch Kontakt zueinander haben und durch das Heim Angebote zur Tagesstrukturierung und Unterhaltung erhalten, sind oft weniger isoliert als einsame alte Menschen in der eigenen Häuslichkeit. Viele Bewohnerinnen und Bewohner schätzen es, in einer stationären Einrichtung zu leben. Altenpflegerin Anita S. berichtet von der Resilienz – der bewundernswerten inneren Widerstandskraft – die ältere Menschen in der Zeit der eingeschränkten Besuchsmöglichkeiten gezeigt haben: „Ich habe den Eindruck, dass eher die Angehörigen darunter leiden als die Bewohnerinnen und Bewohner, dass sie keinen Kontakt mehr aufnehmen können. Die Bewohner selber haben in Kriegszeiten gelernt, mit solchen Unwägbarkeiten umzugehen. Ich mache mittlerweile Fotos von den Bewohnerinnen und Bewohnern“, berichtet sie „und sende sie an die Angehörigen, damit sie sehen, dass ihre Eltern und Großeltern nicht alleine sind. Ein schriftlicher Gruß, ein selbstgemaltes Bild von den Enkeln hilft oft mehr als ein Gespräch. Ein Gespräch ist schnell vergessen. Aber eine Postkarte kann man immer wieder in die Hand nehmen, um sich einander nahe zu fühlen.“
Meine Stimme wurde zur Brücke hin zu den Bewohnerinnen und Bewohnern
Seit Mitte Juni sind Besuche auf den Zimmern mit der entsprechenden Schutzausrüstung für die Altenpflegeheimseelsorgenden wieder möglich. Das Strahlen in den Augen der Bewohnerinnen und Bewohner, als sie von den Seelsorgenden nach beinahe drei Monaten wieder im Zimmer besucht werden konnten, hat manch schmerzliche Erfahrungen anlässlich der Kontaktbeschränkungen gelindert: „Ich habe mich zeitweise wie im Gefängnis erlebt“, erzählt ein Bewohner nachdenklich. „Weil meine Füße nicht mehr mitmachen, bin ich zusätzlich zu allen Beschränkungen nur noch auf mein Zimmer begrenzt. Gott sei Dank wurde ich von meinem Seelsorger immer in dem Moment angerufen, als es mir gar nicht gut ging. Die Anrufe haben mir sehr geholfen“.
„Am schlimmsten finde ich es, dass man nicht mehr angefasst wird, wegen dem Abstand, keine Berührung. Wenn mich niemand anfasst, dann spüre ich mich selbst nicht mehr. Man verliert das Gefühl für sich selbst, wenn einen niemand anfasst“.
Frau E. ist über 90, fast blind und hat eine vaskuläre Demenz. Sie benennt im direkten Gespräch, was die Abstandsregelungen in ihr ausgelöst haben und was sie schmerzlich vermisst.
Durch ihre vertraute Stimme, berichtet Pfarrerin Cornelia Reusch aus Esslingen, wurde es möglich, diese fehlende Nähe immer wieder aufzufangen. „Auch als Seelsorgerin entdeckte ich die Gabe meiner Stimme noch einmal ganz neu: Meine Stimme wurde zur Brücke hin zu den Bewohnerinnen und Bewohnern, die ich nicht besuchen durfte, um sie zu schützen. Meine Stimme durfte ins Zimmer, auf die Wohnbereiche kommen. Vielen ist sie ja vertraut. Mit Audioandachten und Audiogottesdiensten versuchte ich, Tröstliches zu sagen. Wie von selbst stellten sich Worte ein aus dem großen Schatz der Bibel. Sie sprechen mich an und ich lasse sie mit meiner Stimme hineinsprechen. Wie tröstlich: Die Stimme – Gabe Gottes“.
Die Altenpflegeeinrichtungen haben ihre Erfahrungen im Umgang mit dem Corona-Virus gesammelt: „Wir wissen jetzt, wie wir damit umgehen müssen“, zieht eine Einrichtungsleiterin eine erste vorläufige Bilanz. „Falls das Virus in unsere Einrichtung zurückkehren sollte, wissen wir, was zu tun ist. Es war wichtig, dass die Seelsorge – auch von außen – für uns da war und ist. Jetzt sind wir besser vorbereitet und wissen, unter Einbeziehung von Schutzmaßnahmen, wie wir die Seelsorge auch in solchen Krisenzeiten in unserem Haus beibehalten werden.“
Die AltenPflegeHeimSeelsorge begleitet die Ältesten unter uns in dieser seelisch belastenden, von Corona geprägten Zeit. Sie sorgt sich um die Bewohnerinnen und Bewohner in Altenpflegeheimen, damit sie in ihrem Wohlbefinden bestärkt werden und erfahren: Ich bin nicht allein, ich werde gehört und gesehen.