Oberkirchenrat Dieter Kaufmann tritt nach elf Jahren Dienstzeit als Vorstandsvorsitzender des Diakonischen Werks Württemberg am
30. November 2020 in den Ruhestand. In einem Interview äußert er sich zu ihm wichtigen Themen.
Herr Kaufmann, welche drei Themen haben Sie in den vergangenen Jahren besonders begleitet?
Prinzipiell lagen und liegen mir die Menschen besonders am Herzen, die benachteiligt sind und nur mit Unterstützung aus dieser Situation herausfinden. Da sind Erwachsene und Kinder, Familien und Alleinerziehende, die in Armut leben. Hierzu gehören insbesondere auch die langzeitarbeitslosen Menschen. Sie bekommen wenig Aufmerksamkeit und haben oft mehrere Schwierigkeiten: Schulden, familiäre Probleme oder eine Suchterkrankung. Aus eigener Kraft schaffen sie es kaum, im Arbeitsleben Fuß zu fassen. Weil sie auf dem regulären Arbeitsmarkt wenig Chancen haben, werden wir öffentlich geförderte Beschäftigung immer brauchen. Da leisten unsere Beschäftigungsunternehmen einen gesellschaftlich wichtigen Beitrag. Weil es für langzeitarbeitslose Menschen wenig Fürsprache gibt, haben wir über eine lange Zeit hinweg monatlich in Pressemitteilungen darauf hingewiesen, dass die langzeitarbeitslosen Menschen in der offiziellen Statistik der Agentur für Arbeit nicht sichtbar sind. Kirche und Diakonie sind dann selbst tätig geworden und haben mit den von der Landessynode bewilligten Beschäftigungsgutscheinen ein sozialpolitisches Zeichen gesetzt. Wer einen langzeitarbeitslosen Menschen beschäftigte, bekam über diesen Gutschein einen Zuschuss dafür. Damit dies auch uns in den Kirchengemeinden bewusst wird, haben wir allein Kirchengemeinden zu Antragsberechtigten gemacht. Hier gab es Kirchengemeinden, die selbst einen Arbeitsplatz bereit stellten oder Paten für einen Arbeitsplatz bei einem Beschäftigungsunternehmen waren. Viele Kirchengemeinden haben sich hier engagiert. Das ist Diakonie der Gemeinde, ganz aktiv. Ich habe Menschen kennengelernt, die diese Chance richtig gut genutzt haben.
Auch Menschen mit Behinderungen haben in meiner Dienstzeit eine besondere Rolle gespielt. Kurz vor meinem Amtsantritt ist die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft getreten. Dass diejenigen, die es können und wollen, statt in großen Einrichtungen in Wohngemeinschaften an unterschiedlichen Orten leben und dort Teil der Einwohnerschaft sein können, ist ein wichtiger Fortschritt. Das Bundesteilhabegesetz hat ja auch die Zielrichtung, dass es die Bedarfe der Menschen ins Zentrum stellt.
Der Aktionsplan Inklusion geht ja nun zu Ende.
Dass es uns in unserer Landeskirche gelungen ist, dies als gemeinsames Projekt von Diakonie und Landeskirche umzusetzen, das finde ich großartig. Andere Landeskirchen und Diakonischen Werke beneiden uns darum. Auch um eine Landessynode, die dafür beträchtliche finanzielle Mittel bereitgestellt hat. Das geschieht, damit vor Ort im Miteinander von Kirchengemeinden, diakonischen Diensten und Einrichtungen mit Menschen, die von der Teilhabe ausgeschlossen sind, durch neue Aufbrüche inklusive Gemeinde lebendig wird. Dass der Landesbischof den Vorsitz des Netzwerks Inklusion in der Landeskirche übernommen hatte, ist ein wichtiges Signal. Wer die Homepage des Aktionsplans Inklusion besucht, entdeckt viele gute Projekte, die ein lebendiges Miteinander in unserer Landeskirche mit ihrem diakonischen Reichtum mit vielen kreativen Ideen vor Ort zeigen.
Das dritte für Sie wichtige Thema?
Das ist das Engagement für Flüchtlinge und Aktivitäten mit ihnen zusammen. Flüchtlingsarbeit war schon immer Schwerpunkt kirchlich-diakonischer Arbeit, aber seit 2015 haben wir dieses Arbeitsfeld deutlich ausgebaut. Sehr viele Ehrenamtliche unterstützen die Hauptamtlichen bei der Integration zugewandeter Menschen vor Ort. Die Landessynode hatte einen Fonds zur Unterstützung von Kleinprojekten mit Flüchtlingen aufgelegt. Dadurch haben wir erlebt, dass es in Kirche und Diakonie viele gemeinsamen Aktivitäten von Einheimischen und Zugewanderten und gelingende Integration gibt. Der Schlüssel zum Verstehen ist das Miteinander.
Das Diakonische Werk Württemberg hat zwar auch einen Finanzvorstand. Aber Finanzierungsfragen haben Sie auch immer begleitet.
Die betriebswirtschaftliche Seite hat mich immer beschäftigt. Wir haben alle Anstrengungen unternommen, damit unsere Einrichtungen solide betriebswirtschaftlich arbeiten konnten. Und wenn es eng wurde, dann haben wir im Notfonds alle Mittel eingesetzt, damit hier eine neue betriebswirtschaftlich nachhaltige Entwicklung möglich ist. Und ich habe immer die große Verantwortung der Leitenden gesehen, die ständig daran arbeiten müssen, dass auch die betriebswirtschaftliche Stabilität gewährleistet ist. Mir war wichtig, immer um Verständnis, auch innerkirchlich, dafür zu werben, dass dies auch manchmal schwierige Entscheidungen erforderlich gemacht hat.
Gibt es ein übergreifendes Thema, das für Sie grundlegend ist?
Wir sind als Kirche durch unsere diakonische Vielfalt in Kirchengemeinden, Kirchenbezirken, diakonischen Diensten und Einrichtungen gesellschaftlich und politisch auf Landes- und Kommunalebene sehr präsent. Wir erfahren hier hohe Wertschätzung. Gerade mit unserem inhaltlichen Profil, dass wir davon leben, dass wir uns nicht uns selbst verdanken und dass alle, unabhängig von „Verdienst und Würdigkeit“ dazugehören. Wie oft habe ich in Sitzungen mit sozialpolitisch Verantwortlichen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen in einer Besinnung zu Beginn darauf verwiesen. Und wie aufmerksam haben alle zugehört und viele mir nachher ausdrücklich dafür gedankt. Und auch die Mitglieder unserer Kirche – das zeigen alle Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen – bleiben der Kirche verbunden, weil sie das Evangelium so verstehen, dass es eben im Wort und im Diakonischen lebendig ist. Das werden wir sinnvollerweise bei allen Überlegungen, wie wir Mitglieder gewinnen und sie in ihrer Verbundenheit zu uns als Kirche stärken, stark machen.
Diakonie ist Kirche und Kirche ist Diakonie. Dieser Satz ist nicht neu. Aber es ist mir wichtig, dass uns immer bewusst ist: Eine Kirche, die nicht diakonisch ist, gibt es nicht. Und eine Diakonie, die ihren Grund nicht im Evangelium von Jesus Christus sieht, auch nicht. Danach müssen wir unser Planen, Handeln und Reden ausrichten. Übrigens sind wir bei den von mir oben genannten Themen immer gemeinsam als Kirche und Diakonie in Württemberg unterwegs. Landesbischof July und ich auch im wörtlichen Sinn, indem wir vor Ort gemeinsam Projekte besucht haben, dort auf die Menschen gehört und den Engagierten gedankt haben. Und manchesmal konnten wir auch einen Scheck für die weitere Finanzierung überreichen. Wir sind immer tief beeindruckt von dem großartigen Engagement in unseren Kirchengemeinden und -bezirken und den diakonischen Diensten, vor allem aber der engagierten Ehrenamtlichen, zurückgekehrt.