Die Diakonie Württemberg hat Meinungsbildungsprozesse in Diakonie, Kirche und Politik zum Schwangerschaftskonflikt aktiv mitgestaltet. Es geht um die Frage nach der Straffreiheit des Abbruchs der Schwangerschaft.
Das Referat für Schwangerschafts- und Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen sowie die Fachstelle PUA für Pränataldiagnostik und Reproduktionsmedizin haben sich intensiv mit dem Thema befasst. Hintergrund ist unter anderem der Koalitionsvertrag der Regierung, in dem 2021 festgelegt wurde, den Schwangerschaftsabbruch „außerhalb des Strafgesetzbuches“ zu prüfen. Im März 2023 wurde eine eigens dazu eingesetzte Kommission einberufen. Diese präsentierte im April 2024 ihre Ergebnisse. Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland innerhalb des Strafgesetzbuches im Paragrafen 218 geregelt. Er stellt den Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich unter Strafe, definiert im Paragrafen 218a aber, in welchen Fällen der Straftatbestand nicht gegeben ist und somit auch in Deutschland der Abbruch einer Schwangerschaft straffrei möglich ist.
Vor diesem Hintergrund wurde das Thema intensiv diskutiert. Im Frühjahr 2024 konnten sich Vertreterinnen der Diakonie mit den frauenpolitischen Sprecherinnen im Landtag austauschen und für die Komplexität des Themas sensibilisieren. Ebenso spielten sie den Diskurs in der AG Chancengleichheit der Beauftragen für Chancengleichheit ein. Auch mit den Schwangerenberatungsstellen ist das Thema immer wieder diskutiert worden.
Die sehr komplexe Debatte ist vom Güterkonflikt zwischen dem Schutz des ungeborenen Lebens und den Selbstbestimmungsrechten schwangerer Frauen geprägt. Für die Diakonie Württemberg ist deutlich, dass Selbstbestimmung und Lebensschutz nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Trotz oder gerade wegen des bestehenden Güterkonflikts und der auf beiden Seiten schwerwiegenden Rechte war, ist und bleibt es Herausforderung und Aufgabe, sowohl die individuelle Betroffenheit Einzelner als auch die gesellschaftlichen und normativen Folgen persönlicher und politischer Entscheidungen ernst zu nehmen und zu benennen. Dass Selbstbestimmung und Lebensschutz einander bedingen können, wird auch daran deutlich, dass eine Verlagerung der – auch bei aktueller Gesetzeslage zu treffenden – Gewissensentscheidung in den rein persönlichen Verantwortungsbereich Betroffener, den Handlungsdruck zum Beispiel, für Eltern mit unklarer pränataler Diagnose auf ein behindertes Kind unter Umständen sogar erhöhen könnte. Die Komplexität und Vielschichtigkeit des Themas wird daran sichtbar: Einerseits könnte eine Liberalisierung ungewollt Schwangere in ihrem Selbstbestimmungsrecht stärken; andererseits könnte ein gesetzlich verankerter Lebensschutz Frauen und Eltern stärken, die auch bei einem pränataldiagnostischen Hinweis auf ein behindertes Kind dieses zur Welt bringen wollen.
Bei der Frage nach dem Schutzstatus für das ungeborene Leben müssen Implikationen für die Bewertung behinderten Lebens immer mitbedacht werden. Das hängt damit zusammen, dass Menschenwürde als Grundbedingung menschlichen Lebens unabhängig von dessen Leistungen und Fähigkeiten jedem Menschen zukommt. Der eingangs benannte Güterkonflikt besteht also faktisch und kann nach Ansicht der Diakonie Württemberg auch nicht durch Fristenlösungen aufgehoben werden. Zum anderen müssen Entwicklungen und zunehmende diagnostische Möglichkeiten durch medizinischen Fortschritt im Bereich von Pränatal- sowie Präimplantationsdiagnostik und die Konsequenzen für den Embryo in vitro bei einer Neuregelung im Blick behalten werden. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der auch im Koalitionsvertrag definierten Reformbestrebungen des Embryonenschutzgesetzes.
Zudem wurde im Diskurs die Wichtigkeit einer professionellen und ergebnisoffenen Beratung beziehungsweise das Festhalten an einer verpflichtenden Beratung im Vorfeld eines Schwangerschaftsabbruchs deutlich, da diese Reflexions- und Schutzraum bietet.
Zum Kurzbericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung